von Nic Leonhardt
Tief verwurzelt und beweglich. Fester Stand, doch das Geäst im Tanz. Beständig im Ort – so wandelbar. Ein Baum ist ein Wunderwerk und uns Menschen in vielem weit voraus. Wie überhaupt die Pflanzenwelt so weise ist, dass wir uns ihr wahrhaft häufiger widmen sollten. Die Pflanzen beobachten, ihnen zuschauen, mit ihnen in Interaktion gehen, offen sein; offen, von ihnen zu lernen.
Ein Baum ‚sieht‘ auf seine Weise, phototroph, durch Hinwendung zum Licht; er erlebt auf seine Weise; kommuniziert auf seine Weise nonverbal – innerhalb seines Innern von der Wurzel bis zur Spitze. Zum Einen. Zum Anderen ist er aber auch mit anderen Bäumen in Kontakt, und dies über ein unendlich weit reichendes Wurzel- und Pilznetzwerk. Bäume warnen einander vor Gefahren, vor Schädlingen, sie speichern die Erfahrung aus Dürreperioden und geben sie an die Folgegeneration weiter. Sie nehmen wahr, wenn Nachbarbäume gefällt, Waldstellen gerodet werden. Bäume sind in diesem Sinne achtsam und sozial. Sie erspüren die Angst, Gefahren, die Trauer um die Artgenossen. Eine jahrtausendealte Achtsamkeit scheinen sie sich so bewahrt zu haben, eine Phytointelligenz, für die es kein Schulsystem gibt, sondern die auf Erleben und Erfahren beruht.
Ruhelos im Wandel. Zackig und instabil. Vermeintlich in Optimierung begriffen, schadeten Menschen immer schon sich selbst und den anderen. Als menschliche Intelligenz galt und gilt unter anderem die Fähigkeit des homo sapiens, sich die Natur gefügig zu machen. Was einmal natürliche Anlage war, ist aus dem Ruder gelaufen. Flora und Fauna finden sich ausgerottet und malträtiert. Von Geld und Macht getrieben, in einer Haltung des Nie-Genug konsumieren Menschen, beuten aus, rotten aus, töten andere Lebewesen auf grausame Weisen, ihresgleichen in brutaler Hinterhalt. Jede Zeit scheint eine Zeit der Unruhen, des Aufruhrs. Sozial, politisch, ökonomisch schlecht beraten, von Angst getrieben und durch Angst gefügig gestellt, lassen sie sich treiben und verlieren dabei: sich selbst und die Verbundenheit mit anderen Daseinsformen. Wenn man genau hinschaut, sollte so erhellend wirken, dass diese ‚Intelligenz’ in Wahrheit intolerante Ignoranz ist. Was so oft als Fortschritt gepriesen wurde und wird, bedeutet einen Rückschritt für den Menschen. Der Mensch ließ sich lenken und vergaß, sich selbst zu erden, in Kontakt mit sich selbst und den Anderen zu sein.
Der Mensch ist dem Baum um ein Vielfaches unterlegen.
Wie konnte denn das passieren?
Es ist Frühling, in vielen Teilen der Welt werden traditionell Feste begangen, diesen jahreszeitlichen, kalendarischen oder astronomischen Neubeginn zu feiern; begleitet von Ritualen, Licht, Musik und Tanz – und dem Aufsuchen der Nähe zur Natur. Das ist schön. Noch schöner aber ist, dass jeder Tag, selbst jede Stunde einen neuen Anfang darstellt. Einen Punkt bietet, von dem aus sich neu beginnen lässt. Vielleicht unter einem Baum, die starken Wurzeln unter den Füßen spürend, so dass sich Erdung einstellt. Und dann tief ein- und ausatmen. Und noch mal. Und noch mal… Gut möglich, dass der Baum dann sein Geheimnis flüstert, wie er es schafft, im festen Stand und doch beweglich zu sein. Seit Ewigkeiten beständig im Ort, doch wandelbar dazu. Wie es ihm gelingt, seinen Stimmen zu lauschen und für die Anderen da zu sein. Achtsam und sozial verbunden mit den Nächsten und ihnen zugetan. So fest im Stand, während das Geäst im Tanz mit der Welt…
Was wäre möglich, wenn wir uns zu seinen Schülern machten?
Alles.
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Empfehlungen zum Lesen, Anschauen, Anhören, u.a.
Andreas Weber, „Die Sinne der Pflanzen“, in National Geographic
Emanuele Coccia: Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen. 2018.
Peter Wohlleben: Das geheime Leben der Bäume (2015).
Jacques Tassin: Penser comme un arbre(2018).
Ted-Talk Stefano Mancuso, The Roots of Plant Intelligence (13 Min.)
Ein Klassiker zum Anhören: Alexandra, Mein Freund, der Baum (1968)